Knollerich

Der alte Mann starb auf seinem Berg

Baudenwirt des Großen Knollens von seinen Freunden tot aufgefunden — Eineinhalb Tage schwieg das Telefon Als wenn Fritz Goericke schlief ...

 

SIEBER/BAD LAUTERBERG. Der „Knollerich" ist tot! Die Nachricht eilte am Wo­chenende durch den Südharz. Der „Knollerich" ist ein Begriff — für fast alle Südhar­zer, für viele Menschen in Niedersachsen! Der Knollerich, das war der Wirt in der Baude oben auf dem Großen Knollen. Dieser Gipfel, 687 Meter über dem .Meeresspiegel, war sein Reich, sein Berg! Tausende, Zehntausende besuchten ihn dort oben auf dem „Brocken des Südharzes". Sein letzter Gast war Gevatter Tod, Der Sensenmann muss schon vor ein paar Tagen zu Fritz Goericke, so lautet sein bürgerlicher Name, gekommen sein. Vermutlich nachts! Am Donnerstag letzter Woche blieben die Fensterläden und die Tür der einsamen Bergbaude geschlossen. Ringsum deckte ein halber Meter und mehr Schnee die Waldlandschaft. Ein Kurgast aus dem Luftkurort Sieber war die eineinhalb Stunden heraufgestiegen- Er stand vor dem verschlossenen Bau.

 

 

Während er noch schaute, gesellten sich einige Wanderer aus der vor den Bergen gele­genen Stadt Herzberg zu ihm. Auch sie waren verblüfft. Der „Knollerich" nicht zu Hause? Das gab's doch nicht! Seit 18 Jahren war man es gewohnt, beim Knollerich einzukehren, wenn der beschwerliche Aufstieg von Sieber, Herzberg, Scharzfeld, Bad Lauterberg herauf geschafft war. An diesem Donnerstag blieb die Baude zu. Es fehlt auch das altvertraute Schild „Bitte klopfen, wenn geschlossen!" — Wo war der Knollerich? Was war mit ihm?

Die Wanderer konnten nicht ahnen, dass der Gesuchte drinnen im Haus in seiner Schlafkammer still — wie schlafend — auf dem Bett lag. Er schlief für immer!

Die Wanderer stiegen zurück in die Täler. Der Kurgast berichtete in Sieber zur Abendzeit von der Ruhe auf dem Berg. Oberförster i. R. Lindner, Harzklubvorsitzender in Sieber und langjähriger Freund des Knollen-Wirtes stutzte: Das konnte doch nicht sein! Er wusste, der Knollerich war oben, und zwar ganz allein.

 

. Die Nacht war schon hereingebrochen. Hubert Lindner griff zum Telefon. Der Ruf ging ab, aber der Große Knollen meldete sich nicht. Hubert Lindner verbrachte eine unruhige Nacht. Am nächsten Morgen gewann er den Sieberaner Forstmann Heibig für eine "Expedition" zum Berg. Die beiden Männer fuhren mit einem Fahrzeug, soweit die Forststraße durch das Tiefenbeekstal geräumt war. Den letzten Gipfelanstieg nahmen sie durch hohen Schnee zu Fuß. Sie fanden die Worte des Kurgastes bestätigt. Durch ein offen stehendes Oberlicht und durch Aufwirbeln eines Gast­raum-Fensters gelangten die beiden Männer ins Hausinnere. Sie sahen: alle Schlüssel steckten von innen. Der Zugang zu den Wohnräumen war ihnen verwehrt. Hubert Lindner spürte förmlich: Sein Freund weilte nicht mehr unter den Lebenden!

Die beiden Forstmänner zogen die Polizei hinzu. Der Beamte aus St. Andreasberg öffnete die noch verschlossenen Türen. Dann standen die Männer vor Fritz Goericke. Er lag still und friedlich in seinem Bett! Er war tot! Nichts deutete auf einen Todeskampf hin. Nur das etwas herangezogene Telefon ließ erkennen, dass der Knollerich offensichtlich noch versucht hatte, Verbindung zur Außenwelt aufzunehmen.

Als sich die Erstarrung von den Männern gelöst hatte, handelten sie. Aus Herzberg holten sie einen Arzt und ein Bestattungsunternehmen herauf. Von Sieber aus setzten sich die Männer der Feuerwehr mit ihrem geländegängigen Jeep in Bewegung. Auf einer Bahre trugen die Feuerwehrmänner Fritz Goericke von steinern Berg herunter — jenen steilen Weg, den der alte Mann so oft in den vergangenen 18 Jahren gegangen war.

Auf dem Großen Knollen im Südharz gibt es keinen ."Knollerich" mehr. Ein Herzschlag hatte dem Leben dieses eigenartigen, eigenwilligen und doch so liebenswerten Baudenwirtes kurz vor seinem 77. Geburtstag, den er am 14. Februar hätte feiern können, ein Ende gesetzt. Viele Harzwanderer und Harzgäste werden Fritz Goericke lange und gern in ihrer Erinnerung behalten.

Der Knollerich — ein gebürtiger Magdeburger — war Flugzeugführer und Kapitän, war Industrie-Beschäftigter und Bergbaudenwirt. In erster Linie aber war er Mensch. Wie lautet doch einer seiner sinnigen Sprüche, die an den .Wänden der gemütlichen Baudenräume hängen? „Es gibt viele Leute aber nur wenig Menschen". Er war einer von de letzteren! Schlafe wohl, lieber Knollerich!

Seiner Ehefrau gilt unsere Anteilnahme. Er hatte sie im Herbst, ehe der Winter hereinbrach, vom Berg herunter nach Berlin geschickt, damit sich ihre angegriffene Gesundheit bessern sollte. Ein Wiedersehen war ihm nicht gegönnt.

Harzkurier, Februar 1967

Anekdoten vom Knollerich

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